Was denkst du beim Wort Selbstliebe? Klingt sie nach einem unerreichbaren Ideal oder einem spirituellen Schlagwort? Stehst du Selbstliebe skeptisch gegenüber, denkst sie wäre versteckter Egoismus? Oder dass du nicht so wichtig bist und sie dir gar nicht zusteht?
Während wir einerseits immer individualistischer, schneller und materialistischer leben, bleiben die wahren Herzenswünsche und echte Begegnungen oft auf der Strecke. Auch der Kontakt mit uns Selbst. Wir sind sehr oft im Tun und Leisten, Emotionen haben da kaum Platz. Unser Leben ist geprägt von ständigen Vergleichen und unrealistischen Idealen, soziale Medien laden zu Selbstdarstellung und oberflächlichem Kontakt ein, zur ständigen Verfügbarkeit, und verstärken das Gefühl, nicht genug zu sein.
Selbstliebe als Lebenseinstellung
Selbstliebe ist hier ein wohltuender Gegenpol, denn sie bedeutet, eine liebevolle Beziehung mit mir selbst zu pflegen, mich selbst zu akzeptieren, anzunehmen, wie ich bin, mir in jeder Lebenssituation mit Mitgefühl zu begegnen. Wenn ich mich selbst wertschätze und grundsätzlich mag, lasse ich mich weniger von äußeren Erwartungen beeinflussen, ich kann besser mit Enttäuschungen und Ansprüchen umgehen und klare Grenzen setzen, wo mir etwas und jemand nicht guttut. So wird Selbstliebe eine Basis für persönliches Wohlbefinden und mentale Gesundheit, sie macht gelassener und glücklicher, reduziert Stress, Ängste und beugt damit sogar Depressionen vor.
Ich möchte euch Selbstliebe heute als grundlegende Psychohygiene näherbringen, als Lebenseinstellung, uns selbst die Aufmerksamkeit und Zuneigung zu schenken, die jede*r verdient. Tatsächlich ist diese Haltung gar nicht egoistisch, im Gegenteil, sie hilft, gesunde Beziehungen zu anderen aufzubauen, sie lässt uns verbundener fühlen mit anderen Menschen. Wenn ich mich selbst respektiere und liebevoll behandle, habe ich auch für andere mehr Mitgefühl und Wertschätzung, bin offener für mein Gegenüber. ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘ hieß es schon in der Bibel. Tatsächlich wird Selbstliebe in einigen Weltreligionen und philosophischen Lehren als eine Form des inneren Friedens und der Harmonie angesehen, eine tiefe Akzeptanz des eigenen Seins im Einklang mit der Welt.

Mir selbst beste Freund*in sein
Wahrhaftige Selbstliebe beginnt mit Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl. Wenn ich mit mir selbst gut und achtsam umgehe, nehme ich meine Gefühle und Bedürfnisse wahr und ernst, und werde mich für ihre Erfüllung einsetzen. Ich schätze mich nicht nur dann, wenn ich erfolgreich bin, sondern gehe auch in schwierigen Situationen mitfühlend mit mir um. Ich nehme mich in den Arm und tröste mich, wenn es mal nicht so läuft wie gedacht, wenn ich enttäuscht oder traurig bin. Ich spreche mir Mut zu, stärke mich, wenn ich Angst habe. Ich bin mir selbst ein*e beste Freund*in, und damit ist immer jemand für mich da.
Je besser ich meinen Körper spüre und annehme, desto leichter fällt mir Selbstliebe. Ich nehme meine Bedürfnisse wahr, spüre das Wohlgefühl, im eigenen Körper zuhause zu sein. Wie du deinen Körper als Tor zur Selbstliebe und ‚beste*n Freund*in‘ entdecken kannst, liest du unter ‚Körperwahrnehmung stärken: Nachrichten vom besten Freund‘ nach.
Selbstliebe macht handlungsfähiger, sie unterstützt das Gefühl der Selbstwirksamkeit, denn wir können immer etwas für uns tun, damit es uns besser geht. Ich sorge für meine Zufriedenheit, ganz unabhängig von anderen, von dem, was im Außen passiert. Selbstliebe fördert gesunde Grenzen, Nein sagen dürfen ohne Schuldgefühle, und verhindert Abhängigkeiten, egal ob es sich um Handy, Essen, Arbeit oder toxische Beziehungen handelt. Selbstliebe macht Lust, das Leben bewusst zu genießen und zu gestalten, sie führt mich zu den Menschen und Dingen, die mir guttun. Dabei bleibe ich aber nicht alleine. Weil ich mir das alles selbst zugestehe, anerkenne ich es auch für andere. Ich kann Empathie üben, Vergebung und Mitgefühl.
Dabei ist Selbstliebe nicht nur ein Wohlfühlprogramm. Manchmal kann es heißen, auf etwas zu verzichten, das ich gerne hätte, weil ich spüre, dass es mir gerade nicht guttut. Es kann bedeuten, mich zu überwinden, aus meiner Komfortzone zu kommen, um etwas Unbekanntes auszuprobieren, oder zu meinen Bedürfnissen zu stehen, auch wenn ich damit scheinbar gerade der/die Einzige bin. Es heißt, auch Schwächen anzunehmen und mich nicht damit zu verstecken, sogar zu zeigen, dass ich verletzlich bin und Fehler mache. Selbstliebe wird mich einladen, mich mit jenen Anteilen auseinanderzusetzen und Frieden zu schließen, die mir unangenehm sind und mich immer wieder fordern. Wenn ich die schwierigen Seiten an mir selbst akzeptieren kann, werde ich mich auch im Kontakt mit anderen mehr entspannen können, mich gelassener und authentischer zeigen, und zugleich auch andere in ihrer Verschiedenheit besser annehmen.

Der Weg führt über das Du zum Ich
Gerade als ich beim Schreiben an diesem Artikel ins Stocken gerate, erreicht mich die Nachricht einer lieben Freundin, die sich anlässlich des Valentinstags für unsere Freundschaft bedankt. Ich spüre, wie es mich berührt, ich sehe ihre strahlenden Augen von mir, und sie sind wie ein Spiegel, indem ich mein eigenes Licht sehen kann. ‚Wir brauchen die liebevollen Augen und das liebevolle Gesicht eines anderen Menschen, um uns selbst lieben zu lernen‚, so schön drückt es die Traumatherapeutin Dami Charf aus. Er erinnert mich an einen wichtigen Aspekt der Selbstliebe: Der Weg führt über das Du zum Ich.
Tatsächlich entsteht das Gefühl unseres Selbst in Kontakt mit unseren frühen Bindungspersonen, die Menschen, die uns liebevoll halten und begleiten in unseren ersten Lebensjahren. Wir entwickeln Urvertrauen und einen liebevollen Blick auf uns selbst und die Welt, weil wir wahrgenommen und angenommen werden, wie wir sind. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass wir als Kinder bedingungslos geliebt werden. Dadurch wäre uns Selbstliebe in die Wiege gelegt, als natürliche Eigenschaft.
Früher Mangel trennt uns von der Selbstliebe
Aber viele von uns machen ganz andere Erfahrungen. Manche Eltern versorgen ihr Kind zwar, aber können ihm nicht genügend Berührung, Wärme und Geborgenheit geben. Manche Eltern verlangen für ihre Liebe Gehorsam und Leistung. Meist haben sie es selbst nicht anders kennengelernt. Kinder werden in ihrem Bedürfnis nach Liebe allein gelassen und verletzt, oder sogar dafür beschämt oder manipuliert. Mangelnde Bedürfniserfüllung, fehlende Zuwendung und emotionale Nähe lässt Kinder an sich selbst zweifeln.
Als Folge schneiden wir uns von unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen ab. Rund um unser strahlendes, natürliches Selbst bilden sich Schichten der Anpassung, Glaubenssätze, die Minderwertigkeit, Scham, Schuld und Ablehnung ausdrücken. Wir trennen uns ab von der schmerzhaften Sehnsucht nach Liebe und deren Erfüllung, was gravierende Folgen für die Beziehung zu uns selbst und anderen hat. Mehr darüber, welche Spuren das körperlich und emotional in uns hinterlässt, kannst du unter ‚Verkörperte Gefühle und inneres Kind‘ nachlesen. Sehr oft im Leben kreieren wir uns auch in Beziehungen diese Situationen immer wieder neu. Wie also finden wir zu einer gesunden Selbstliebe, wenn wir solche frühen Erfahrungen gemacht haben?

Kleine Schritte mit großer Wirkung
Selbstliebe fällt uns nicht plötzlich zu, es ist ein Prozess, eine tägliche Praxis, dich immer wieder neu mit dir selbst zu verbinden. Wer eine langjährige Partnerschaft lebt, weiß, Liebe braucht viel Akzeptanz, und sich immer wieder bewusst füreinander zu entscheiden. Und auch du selbst brauchst es, dich immer wieder für dich zu entscheiden. Trotz der alten Denk- und Verhaltensmuster, die du doch eigentlich schon lange ablegen wolltest. Trotz dem dein*e innere*r Kritiker*in immer wieder etwas an dir auszusetzen hat. Auch an den Tagen, an denen du den Blick in den Spiegel scheust. Gerade an denen am meisten.
Es sind viele kleine Schritte, die man in den Alltag integrieren kann, um Selbstliebe zu stärken. Beginne den Tag mit einem liebevollen Gedanken über dich selbst. Gönne dir Pausen. Sei achtsam mit den Bedürfnissen deines Körpers, deiner Ernährung, Bewegung und Ruhezeiten. Frage dich zwischendurch immer wieder, was du gerade brauchst. Mach bewusst täglich etwas, das dir Freude bereitet. Nimm wahr, wenn du in negative, kritische Gedankenspiralen kommst, und stoppe sie bewusst. Verzeihe dir Fehler und feiere auch deine kleinen Erfolge. Sprich mit dir selbst wie mit einer/m guten Freund*in. Notiere dir täglich drei Dinge, die du gut gemacht hast oder an dir schätzt.
Achtsamkeit und Dranbleiben unterstützt, dass aus den kleinen Schritten Gewohnheit wird, dass ich Selbstliebe als innere Haltung entwickle. Und wenn dir das schwer fällt, dann hole dir Unterstützung von Freund*innen oder lass dich therapeutisch begleiten. Andere Menschen sind hier der positive Spiegel, mit denen ich neue, liebevolle Erfahrungen machen kann, mich über ihre Berührungen und fürsorglichen Worte und Gesten nachnähre und stärke.
Körperwahrnehmung als Königsweg zur Selbstliebe
Körperwahrnehmung ist für mich ein Königsweg zur Selbstliebe. Bewusste Wahrnehmung, Meditation, achtsame Berührung und Bewegung hilft, zu entspannen und liebevoller mit uns selbst umzugehen. Körpertherapeutische Ansätze unterstützen, im Hier und Jetzt anzukommen, belastende Glaubenssätze und Selbstzweifel zu erkennen, Blockaden zu lösen und wieder ein Gespür für die eigenen Bedürfnisse und Emotionen zu entwickeln. Egal ob fremd oder vertraut, es vergeht kaum eine meiner Sitzungen, in der Selbstliebe nicht in irgendeiner Form zum Thema wird.
Ein schöner und sehr bekannter Text über Selbstliebe wird Charlie Chaplin zugeschrieben, doch eigentlich stammt er von der amerikanischen Autorin Kim McMillen. Sie sagt: Ich komme in der Ruhe des Augenblicks an. Ich bin in Frieden mit mir und meinem Leben, denn alle Erfahrungen sind eine Einladung zu wachsen. Ich folge dem Ruf meines Herzens und achte meinen ganz persönlichen Rhythmus. Ich wertschätze mich und sorge für meine Bedürfnisse. Ich gebe mich mit nicht weniger als meiner eigenen innersten Wahrheit zufrieden.
Gönne dir den Raum, dich selbst zu entdecken, die Liebe zu dir selbst zu vertiefen, und jede Leere wird sich füllen. Erlaube dir immer wieder, ganz du selbst zu sein, und erlebe, welchen Frieden das bringt, wie es deine Beziehungen verändert. Öffne dir dein Herz, und du wirst Liebe finden. Schätze dich selbst als Geschenk des Lebens, und das Leben wird dich beschenken.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
hörte ich auf, mich nach einem anderen Leben zu sehnen
Kim McMillen