Du bist du!

Feder_authentisch

Sei authentisch. Sei einfach du selbst. Ein oft gehörter Slogan. Es liegt viel Wahrheit und Befreiung darin. Wir alle wollen leben wie es uns entspricht, uns nicht verbiegen, unser wahres Wesen ans Licht bringen. Und zugleich frage ich mich. ob wir das Wort ‚Authentizität‘ nicht manchmal überladen.

Wenn du so wie ich dein Verhalten und deine Gefühle gerne, oft und viel reflektierst,  quasi ’nach der besten Version deiner Selbst‘ auf der Suche bist,  dann weißt du mittlerweile: Du bist viele, und täglich werden es mehr. Mit jeder Krise, die du durchtauchst, mit jedem neuen Terrain, dass du auf der Landkarte deiner Selbst eroberst, entdeckst du neue Seiten an dir, tun sich neue Möglichkeiten auf, erkennst du alte Anteile als überfällig. Was dir entspricht, was für dich echt ist, wer du bist, befindet sich in ständigem Wandel. Dein ‚authentisch sein‘ hat also viele Gesichter.

Die vielen Schichten um den Kern-Impuls

‚Sozialisierung‘, Leben unter Menschen, bedeutet auch Anpassung. Wir lernen allzu früh, anderen zuliebe unsere Impulse und Meinungen zurückzuhalten, unseren Ausdruck zu zähmen, unsere Bedürfnisse zurückzustecken. Je früher und intensiver das passiert, desto mehr wird es unbewusst Teil unserer Persönlichkeit. Wir vergessen und begraben die eigenen Sehnsüchte und Befindlichkeiten, um die innere Balance und den äußeren Frieden zu wahren. Das kann so weit gehen, dass der Organismus ganz grundsätzliche Dinge vergisst, etwa tiefliegende Wünsche, ursprüngliche Gefühlszustände oder Bewegungsimpulse. Es legen sich so viele Schichten darüber, dass der Kern-Impuls darunter gar keine Chance hat, wahrgenommen zu werden. Der Verstand wird ein braver Filter für das, was eigentlich da wäre. Unser Körper hält sich dann ständig zurück, ohne dass es uns überhaupt bewusst ist.

Es kostet den Körper Kraft und Energie, ursprüngliche Regungen zu unterdrücken. Es geht viel Spontanität und Lebendigkeit verloren, wenn ich versuche, verstanden zu werden, ‚gut‘ beim anderen zu landen, anstatt bei mir selbst. Und ich habe längst nicht mehr die freie Wahl, weil ich in automatisierten Mustern agiere, ohne Zugang zu den eigentlichen Bedürfnissen und Ausdrucksmöglichkeiten. Das was ich gelernt habe an Verhalten und Ausdruck, ist dann das, was ich in mir fühle und spüre, was ich nach außen zeige und lebe. Das ist echt. Meines. Oder etwa nicht?

Identität im Wandel

Am Weg, die Kontrollmechanismen, die uns ständig sabotieren, abzulegen, und die ursprünglichen Impulse freizulegen, sind wir gefordert, sichere Räume zu verlassen, vertraute Rollen aufzugeben, gewohnte Glaubenssätze über Bord zu werfen. Die bisherige Sicherheit, das klare Verständnis der eigenen Identität bricht weg.

Es ist leichter, sich ‚authentisch‘ zu fühlen, wenn man von sich überzeugt ist, zu wissen glaubt wer man ist und wofür man steht. Doch es ist eine Herausforderung, sich in Momenten von Fragen, Zweifel und innerem Chaos, wenn Werte, Überzeugungen und Bezugssysteme wegbrechen, als echt und wahr zu begreifen.

Wenn wir dann einen starken inneren Kritiker in uns haben, eine Stimme die, vielleicht von Kindheit an, meint, wir seien nicht in Ordnung so wie wir sind, dann fällt es uns besonders schwer, uns im Prozess der Veränderung anzunehmen, zu sagen, ja, so bin ich gerade, das ist jetzt mein authentisches Sein, und so bin ich in Ordnung.

Unterwegs in unser Potential

Ein wesentlicher Gradmesser ist meine Körperwahrnehmung. Sie bringt mich aus dem Kopf, den Konzepten und Vorstellungen ins Hier und Jetzt meines Körpers, in die Präsenz, in den Ausdruck dessen, was gerade ist. Dann surfe ich auf den Wellen meiner direkten lebendigen Erfahrung, und die Frage, was die anderen denken oder erwarten, wird unwichtig. Ich erlaube mir einfach, zu sein. So wie ich bin. Jetzt.

Meine Intuition wird immer mehr zum Wegweiser, mich an meinen innersten Kern anzubinden, an das was meinem Wesen in diesem Moment entspricht. Je mehr ich den Mut habe, mich damit zuzumuten, mich zu zeigen mit all den bunten, vielleicht schrägen und noch unstimmigen oder unklaren Facetten meiner Persönlichkeit, desto eher bin ich in Einklang mit mir.

Unser Potenzial, unser authentisches Sein ist ein Möglichkeitsraum, in den wir ständig hineinwachsen. Und ich erlaube mir, es auf die Art und Weise zu tun, die für mich jetzt stimmig ist. Ich denke, jeder Weg und jeder Ausdruck ist richtig und authentisch. In jedem Moment.

Wenn wir uns erlauben unser Eigenes zu spüren, zu leben und auszudrücken, wenn wir uns in jedem Moment annehmen wie wir sind, dann passiert vor allem auch eines: Wir hören auf zu beurteilen. Uns selbst. Andere. Weil alles sein darf. So wie es gerade JETZT ist. So, wie ich gerade JETZT bin. Das entlastet und entspannt ungemein. Selbst wenn der andere ganz anders denkt und wahrnimmt: Es geht darum, meine eigene Wahrheit zu leben. Und der andere seine.

In der Geschichte des kleinen ‚Ich bin Ich‘ auf der Suche danach, wer es sei und wohin es gehöre, lautet die Antwort am Ende, simpel und erleichternd: Du bist du.

Und wer das nicht weiß, ist dumm! Bumm.

Patsch, da fährt es mit der Nase,
mitten in die Seifenblase.
und der schöne Spiegelball,
der zerplatzt mit leisem Knall.
‚Macht nichts‘, sagt das ICH-BIN-ICH,
‚war ja nur ein Spiegeltier‘.
Es ist fort.
Und ich bin hier.

aus: das kleine Ich bin Ich, von Mira Lobe

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