Leben, das ist Hier und Jetzt. Nicht Gestern, nicht Morgen, jetzt. Tatsächlich ist das Leben eine Abfolge von Augenblicken, die wir gestalten. Gestern und Morgen sind Produkte der Gedanken, Vorstellungen, Bilder. Die Gegenwart ist der Platz, an dem du wirkst. Wenn du Achtsamkeit übst, kannst du das Leben noch bewusster genießen und gestalten.
Vielleicht spielst du im Kopf immer wieder Szenarien ab, die in der Vergangenheit liegen. Du überlegst, was du hättest anders machen können. Du machst dir oder anderen Vorwürfe. Du vermisst jemanden oder etwas. Du bist ärgerlich, wütend, nostalgisch oder traurig. weil etwas auf eine bestimmte Weise passiert ist, oder weil etwas nicht mehr so ist, wie es war. Diese Gefühle belasten dich, aber sie verändern nichts mehr.
Vielleicht denkst du an die Zukunft, machst Pläne, wägst Möglichkeiten und Risiken ab, hast Ideen und Visionen. Du machst dir Sorgen um andere oder dich selbst, hast Angst vor Herausforderungen, zweifelst an deinen Optionen, willst etwas perfekt machen. Du möchtest möglichst effizient sein, nicht überrascht werden, oder schwelgt einfach in Vorfreude auf das, was scheinbar besser ist als der jetzige Moment. All das aber macht ungeduldig, unzufrieden und angespannt.
Tatsächlich können wir nicht kontrollieren, was sein wird, noch ändern, was war. Aber in jedem Moment, den wir im Gestern oder im Morgen verbringen, versäumen wir das Hier und Jetzt in seiner ganzen Schönheit, Tiefe und Intensität.
Warum Achtsamkeit nicht einfach ist
Es braucht Achtsamkeit und Bewusstheit, ganz da zu sein und alles um mich und in mir wahrzunehmen. Das ist nicht immer einfach, und auch nicht immer angenehm.
In jedem Moment ganz präsent zu sein wäre sogar extrem anstrengend und überfordernd. Unsere Welt ist voller Reize und Anforderungen von außen. Unser Gehirn dagegen mag es gern einfach. Es lernt schnell, Muster zu erfassen, in Kategorien zu sammeln. Unsere neuronalen Netzwerke bilden Autobahnen für alles, was wir immer wieder denken, fühlen und tun. Auf denen bewegen wir uns dann gerne in Routinen. Wir gehen, essen, reden, und es braucht kaum Aufmerksamkeit. Wir haben viele Alltagstätigkeiten automatisiert. Das dient uns, effizient zu sein, aber es nimmt uns auch die Möglichkeit, den Augenblick wirklich bewusst zu erleben und zu gestalten.
Ich esse vielleicht zu schnell, statt die Nahrung gut zu kauen und achtsam zu genießen. Ich scanne die gewohnte Umgebung, statt alle Details zu sehen oder neue Wege zu gehen. Ich höre nicht mehr richtig zu, was der andere eigentlich meint. Ich spüre nicht, wenn ich über meine Grenzen gehe, mir etwas unangenehm ist. Ich beurteile bestimmte Tätigkeiten oder Menschen aus Erfahrung, statt sie im jetzigen Moment neu und anders zu erleben. Ich frage ungeduldig, wie lange etwas dauert, statt mich in den Moment hineinzuentspannen und dankbar seine Impulse zu empfangen.
Achtsamkeit und Präsenz üben
Tatsächlich kommt alles auf uns zu, wenn wir uns zurücklehnen und langsamer werden, den Moment bewusst erleben, schätzen und achten. Wenn ich ganz ankomme im Jetzt, scheint die Zeit sich auszudehnen, stillzustehen. Ich setze meine Brille der gewohnten Muster und Verhaltensweisen ab und nehme wahr, was jetzt da ist, kann ohne Filter fühlen, spüren, in Beziehung sein, mit mir und anderen. Über die wunderbare Wirkung der Langsamkeit und ihre Bedeutung in unserer fordernden und stressigen Zeit liest du in ‚Slowdown statt Burnout‘.
Es gibt viele Formen, Achtsamkeit, Gewahrsein des Augenblicks, zu üben. Es hilft, mit kleinen Stopps im Alltag zu beginnen, kurz innezuhalten, den Atemfluss wahrzunehmen, die Körperhaltung, dir einfach einen Moment lang erlauben, nichts zu tun, nur zu sein. Du kannst probieren, bei sonst automatisierten Tätigkeiten wie Duschen, Zähneputzen, Gehen oder Kaffee trinken bewusst alle Körperempfindungen zu spüren und zu beobachten, was du über deine fünf Sinne wahrnimmst. Was sehe, höre, schmecke, rieche und spüre ich wirklich, jetzt? Wie erlebe ich meinen Körper in Ruhe oder Bewegung? Wie nehme ich Impulse von außen wahr, den Boden, das Handtuch, die Zahnbürste, das Kaffeehäferl? Der direkteste Weg ins Hier und Jetzt führt über die Körper- und Sinneswahrnehmung. Bewusstes Atmen und Spüren bringt uns sofort in den jeweiligen Moment.
Einer der wunderbarsten Helfer, ins Hier und Jetzt zu kommen, ist die Natur. Ihr Grün beruhigt, die Verbindung mit ihr öffnet die Sinne und macht frei von Wertungen. Die Erde zu spüren unterstützt, die Aufmerksamkeit vom Kopf in die eigene Mitte zu bringen. Langsames Gehen alleine in der Natur ermöglicht, bewusst in mir anzukommen, still zu werden, aufzuatmen, mich dem Augenblick zu überlassen.
Mehr Qualität durch Achtsamkeit
Kinder sind für mich die besten Achtsamkeits-Lehrer*innen, weil sie von uns allen am meisten in der Gegenwart präsent sind. Ihre ‚Gehirn-Autobahnen‘ sind noch recht flexibel, weil sie die meiste Zeit damit verbringen, Neues zu lernen. Sie lassen Gefühle und Erfahrungen kommen und gehen, sind offen für alles, neugierig, wertungsfrei, aufmerksam, spontan und sehr im Moment. Also wenn du Achtsamkeit üben möchtest, verbringe Zeit mit Kindern.
Wenn ich regelmäßig morgens meditiere, dann spüre ich, wie sich die Qualität meines Alltags verändert. Ich werde langsamer, nehme Kleinigkeiten bewusster wahr. Dadurch handle ich auch anders, weil ich nicht so leicht in Automatismen kippe. Ich kann meine Gefühle beobachten, die auftauchen und wieder vorbeiziehen. Ich erlebe alles intensiver, den Geschmack des Kaffees, die Strahlen der Sonne, das Zwitschern der Vögel, das Lachen und die Umarmungen lieber Menschen.
Wenn du ganz präsent bist, öffnet sich dir das Universum, weil du selbst das Universum bist. Die Impulse und Einflüsse von außen werden weniger wichtig, denn du gestaltet den jeweiligen Moment aus dir heraus.
Präsent sein, hier und jetzt, ist das Beste, was du für deine Gesundheit und dein Glück tun kannst. Ich ermutige dich, hin und wieder stillzustehen, wirklich zu spüren und zu fühlen, was ist, quasi aus der Zeit zu fallen. Der Augenblick wird dich auffangen und öffnet dir das Wunder deines Seins.
Das JETZT ist das Kostbarste, was es gibt, alles, was du hast.
Du findest dich selber, indem du in die Gegenwart kommst.
Eckehart Tolle