Slowdown statt Burnout

Schneckentempo_statt_Stress

Unser Alltag wird schneller und hektischer. Wir wollen immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen, sind dauernd erreichbar, beruflich wie privat. Unser Hirn ist ständig beschäftigt, der Tag hat nie genug Stunden. Die beliebteste ‚Deadline‘ war gestern. Wen wundert es, wenn vielen die Luft wegbleibt und Stress und Burnout überhandnehmen?

Was treibt uns an? Natürlich ist da die Schöpferkraft, die uns allen innewohnt, die Freude, uns als lebendige, handelnde, kreative Wesen zu erleben, etwas auf dieser Welt zu bewegen. Als Kinder sind wir auf wundervoll natürliche Art und im eigenen Tempo in dieser Begeisterung unterwegs, die Welt zu entdecken und zu gestalten.

Doch irgendwo auf dem Weg zum Erwachsensein scheint uns die Fähigkeit verloren zu gehen, freudvoll, entspannt, aus dem puren Sein heraus zu kreieren. Die Lust am Gestalten verliert sich im Abarbeiten von Pflichten, die spielerische Leichtigkeit kippt in geschäftige Getriebenheit, und statt Freude am Tun regieren Anspruch und Perfektionismus. Viel zu früh gilt es, viel zu vieles schnell zu erledigen und der Gesellschaft und ihren Vorbildern gerecht zu werden. Wir agieren tatsächlich manchmal, als würde unser Leben von der Erfüllung äußerer Aufgaben, der Erreichung gesetzter Ziele abhängen.

Gefahr Burnout im Alltagsstress

Unsere Gesellschaft ist heute vielfach darauf ausgerichtet, sichtbares Schaffen und Leisten zu fördern, Produktivität, Perfektionismus, Pflichtbewusstsein, Karriere-Aufstieg. Die Freude am Tun, der Prozess des Gestaltens, die kreative Hingabe, Ruhepausen sind zweitrangig. Der Übergang zwischen dem positiv motivierenden, uns zu Höchstleistungen beflügelnden Eustress und dem Druck und Angst machenden, überlastenden Distress wird da fließend. Auf ‚vor Begeisterung brennen‘ folgt oft das ‚ausbrennen‘.

Als Mensch mit Burnout-Erfahrung weiß ich, wovon ich rede. Ich war begeistert von meinen Aufgaben, habe Multi-Tasking zur Perfektion getrieben, Nichts-Tun empfand ich als Zeitverschwendung. Die inneren Antreiber waren auch in den Erholungsphasen präsent. Und irgendwann war der Akku leer.

Natürlich gibt es innere Gründe, warum manche Menschen schneller in ein Burnout geraten als andere (mehr dazu in ‚Chronischer Stress und frühe Kindheit‘), aber das steigende Tempo und die Anforderungen unseres Gesellschaft sind ein nicht zu unterschätzender Faktor. Burnout-Gefährdete sind oft vielgelobte Vorbilder.

Nichtstun und der Seele Zeit lassen

Heute nehme ich mir viel Zeit und Raum für mich, zu spüren was mir wirklich guttut. Ich achte darauf, mein eigenes Tempo zu gehen, Stress und Anspannung zeitgerecht abzubauen. Nichtstun ist zur Königsdisziplin geworden.

Es fällt nicht immer leicht, zu diesem Bedürfnis zu stehen, inmitten der geschäftigen Welt geschäftiger Menschen. Wer sein Tempo im Außen drosselt, dem taucht oft die Frage auf, ob das überhaupt erlaubt ist. Eine innere Stimme mahnt, was alles zu erledigen sei, dass da so viele Pläne und Möglichkeiten auf Umsetzung warten, erinnert an die Ansprüche der anderen und vor allem an die eigenen, mahnt, keinen kostbaren Moment zu vergeuden.

Erlaube dir, genau dann, einfach nur da zu sitzen, mit geschlossenen Augen deinen Körper zu spüren.  Dieser Moment ist kostbar, in dem du aufatmest und dir innerlich Raum gibst, dich tief entspannst. Jetzt spüre ich mich, jetzt gebe ich mir die Erlaubnis, ganz im Hier und jetzt zu sein. Nichts sonst zählt. Das ist die wahre Begegnung mit dir selbst, liebevolles fürsorgliches mit dir Sein.

Wenn dauernd etwas los ist, hat unser Organismus keine Zeit mehr, das Erlebte zu integrieren. Das Sprichwort der Nomaden „Wenn du an einen neuen Ort gelangst, warte. Es braucht Zeit, bis die Seele nachkommt‘, gilt auch für innere Reisen.

Unser Nervensystem, das im Wechsel von Spannung und Entspannung schwingt, verliert seine Fähigkeit, zur Ruhe zu kommen. Wir werden süchtig nach den Hormonen, die unser Körper in der Daueraktivierung ausschüttet. Wir wissen gar nicht mehr, wie echte Entspannung sich anspürt. 

Entspannungs-Praktiken wie Yoga oder Meditation sind daher der neue Wellness-Trend, und gleichzeitig sind Erschöpfung und Burnout die neuen Zivilisationskrankheiten. Ich selbst konnte sehr lange nichts mit Meditation anfangen, war zu unruhig dafür. Heute ist körperorientierte Meditation für mich eine wichtige Form, tief in mein Spüren einzutauchen, Stress abzubauen, bewusst bei mir anzukommen. Es erscheint mir in unserer schnelllebigen und anspruchsvollen Zeit fast eine notwendige tägliche Hygiene.

Burnout vorbeugen durch bewusste Körperwahrnehmung

Aus meiner eigenen Erfahrung der Körperarbeit weiß ich, wie heilsam Langsamkeit ist. Sie ermöglicht erst, den Körper gut zu spüren, dem Atem zu lauschen, das Hier und Jetzt meines inneren Zustandes wirklich wahrzunehmen. Ich verbinde mich auf eine neue und tiefe Weise mit mir selbst. In dieser inneren Ruhe kann sich der Körper auf allen Ebenen regenerieren. Ich komme in meine Mitte, spüre Zentrierung und Erdung. Mein Organismus öffnet und entspannt sich, der innere Fluss wird spürbar, die Angebundenheit an meine Kreativität und Intuition. Und dann ist wieder Energie da für den Flow des Tuns.

Es ist immer wieder schön zu erleben, wie satt und zufrieden sich Klient*innen nach einer Sitzung fühlen, wie das Hineinsinken in die eigenen Energie entspannt und glücklich macht, ganz unabhängig vom außen. Und das wird vor allem in der Ruhe spürbar. In dieser Verbindung mit uns selbst werden wir fähig, uns für andere Menschen wirklich zu öffnen, sie wahrzunehmen wie sie sind, in echten Kontakt zu gehen. In der Geschwindigkeit des Handelns und Denkens, in Stress und beschäftigt sein mit äußeren Eindrücken und Aufgaben, sind wir oft gar nicht richtig präsent und in Beziehung.

Es gibt viele Arten, Langsamkeit zu üben. Es genügt, einfach zwischendurch innezuhalten, eine Hand auf Brust oder Bauch zu legen und den Fluss des eigenen Atems zu spüren. Tiefes, bewusstes und langsames Ausatmen aktiviert den parasympathischen Ast im vegetativen Nervensystem, der für Entspannung sorgt. Es ist der Gegenspieler zum sympathischen Ast, der bei Stress und Aufregung mobilisiert wird.

Achtsam den eigenen Rhythmus finden

Man kann jede Tätigkeit ganz bewusst zur körperlichen Erfahrung machen, in dem man sich beim Duschen achtsam eincremt oder beim Zähneputzen die Berührungen der Bürste spürt, beim Essen bewusst und langsam riecht, kaut und schmeckt. Alleine diese Achtsamkeit reduziert das Tempo, stoppt die Stress-Spirale und bringt in den Moment. Mich entschleunigt es sehr, in der Natur spazieren zu gehen, wahrzunehmen wie die Fußsohlen den Boden berühren, ganz still werden, bewusst die Wärme der Sonne oder den Wind auf der Haut spüren.

Nichts als den eigenen Herzschlag hören. Ganz bei dir Ankommen. Das ist so wertvoll, so tief heilsam, so inspirierend. Es bleibt genug Zeit zum Weitergehen, kraftvoller, freudvoller, mehr in deiner Mitte. Als Ermutigung mag ich dir diese Ode an die Pause mitgeben, die ich gern höre und für mich den Wert des Innehaltens gut in Musik verpackt, ‚Kurz auf Stop‘ von Jan Dettwyler & Johannes Oerding.

Langsamkeit und Spüren ist Erholung pur. Tatsächlich ist das die beste Burnout-Prävention. Wenn ich merke, dass es wieder einmal zu viel und zu schnell wird, ich Druck wahrnehme, mich bewusstseinsmäßig immer öfter ‚aus dem Staub‘ mache, dann hilft es, einen Gang herunterzuschalten. Ich erinnere mich daran, dass weniger mehr ist, und Langsamkeit mich besser, sicherer und freudvoller ans Ziel bringt.

Es zahlt sich langfristig aus, sich auf die Suche nach dem eigenen Tempo zu begeben, und zu versuchen, ihm zu folgen. Das gelingt am besten von innen heraus. Je mehr ich im Spüren bin, desto mehr Raum bekommt meine Intuition. Dann nehme ich wahr, was und wieviel mit guttut, erlaube mir Pausen, setze klare Grenzen. Ich finde den Rhythmus, in dem mein Leben zwischen Aktivität und Ruhe so schwingt, dass es mich glücklich macht.

Wenn ein Mensch nicht mit seinen Gefährten Schritt hält
liegt es vielleicht daran, dass er einen anderen Trommler hört.
Lass ihn nach der Musik gehen die er hört
egal wie bedächtig oder weit entfernt.

Henry David Thoreau

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