Bist du gerade dabei, dich beruflich zu verändern, oder möchtest es gerne? Hast du dabei eine Vision, die dich inspiriert? Willst du einen Beruf, der dich erfüllt? Ich bin diesen Weg über viele Jahre gegangen, und möchte dich mit meinen Erfahrungen ermutigen.
Meine große berufliche Umorientierung hat vor 17 Jahre begonnen. Ich verließ eine interessante Leitungsposition in einer großen Organisation, in der ich viel gereist bin und eine spannende, sinnvolle Aufgabe hatte. Trotzdem sagte mein Herz: Es geht für mich um etwas Anderes. Was das war, wusste ich damals allerdings noch nicht.
Die Erkenntnis kam mir nicht über Nacht. Ich spürte über einen längeren Zeitraum, dass etwas nicht mehr stimmig war. Eine Darmerkrankung war das klare Signal meines Körpers, hinzuschauen. Der plötzliche Tod meines Vaters stellte mir verstärkt die Frage, worum es mir im Leben ging. In einer Visionssuche verbrachte ich daraufhin vier Tage und Nächte allein in der Natur, und als ich zurückkam, war ich eine andere. Langsamer, berührter, fragender, mir und meinen Bedürfnissen näher. Ich hatte meine Kontaktlinsen zuhause gelassen, mit Ameisen und Käfern kommuniziert, die im Laub krabbelten, statt wie meist in die Ferne zu blicken, und begonnen, in die Tiefe meines Herzens zu schauen.
Die Sehnsucht dahinter spüren
Was ich dort fand, war nicht nur angenehm. Ich spürte Sehnsüchte, die nicht zu meinem damaligen Leben passten, das Bedürfnis nach Ruhe, mehr inhaltlicher Tiefe, einer anderen Art, mit mir und den Menschen in Kontakt zu sein. Ich spürte, dass mein Beruf zwar schön, aber gleichzeitig voller Stressoren war. Mit meinem Tempo war ich am besten Weg ins Burnout (Mehr darüber liest du in ‚Slowdown statt Burnout‘).
Es dauert trotzdem noch drei Jahre, bis ich den Mut zum Ausstieg hatte. Es fiel schwer, das wunderbare Team aufzugeben, das ich aufgebaut hatte, den weiten Horizont internationaler Möglichkeiten, die Anerkennung. Doch das Wort Aufgabe hat zwei Bedeutungen. Um deine Aufgabe zu finden, gilt es eben auch etwas aufzugeben, um die Hände frei zu haben für das Neue.
Ich hatte damals schon die Ausbildung zur Visionssuche-Begleiterin begonnen, und meine Lehrer*innen und Kolleg*innen waren wichtige Stützen. Wenn man neue Wege beschreiten will, scheint der Sog des Gewohnten oft übermächtig, und viele Hindernisse im Außen spiegeln die Zögerlichkeit der eigenen inneren Stimme wider. Was ruft mich da? Bin ich verrückt, meine Sicherheit aufzugeben? Was will und kann ich denn eigentlich? Da tut es gut, Menschen an der Seite zu haben, die den Fragen und Zweifeln, den Wünschen und Ängsten Raum geben, zuhören, ermutigen und inspirieren.
Das innere Feuer der Vision nähren
Denn meiner Erfahrung nach gibt es zwei Dinge, die wirklich Veränderung bringen: Leidensdruck und Vision. Ersterer erhöht sich von selbst und gipfelt oft in einer Krise, etwa Krankheit, Burnout oder Kündigung (das Wort Krise kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Entscheidung, Wendung‚). Um dem vorzubeugen, ist es besser, zweitere zu nähren, die Vision. Sie braucht Impulse, Inspiration, Bestärkung, Wachstums-Räume, die das innere Feuer der Begeisterung für das Neue und noch Unbekannte entfachen und lebendig halten, um weiterzugehen.
Ich habe solche Räume und Menschen gesucht und gefunden. Tanz, Körpertherapie, Innere Reisen, Prozessarbeit und Rituale in der Natur, das waren meine Gamechanger, langsam aber stetig. Ich landete immer mehr in meinem Körper, bei mir und meinen Sehnsüchten. Der Mut und das Vertrauen in mich wuchs, neue Wege zu gehen. Und irgendwann kam der Tag, an dem ich meine Vision in Form eines kleinen Steins in der Hand hielt, mit der großen inneren Klarheit, wie sich der berufliche Ort anfühlte, an dem ich wirken wollte. Das war der Tag, an dem ich kündigen konnte.
Vertrauen in das, wofür es sich zu leben lohnt
Johann Wolfgang v. Goethe hat geschrieben, ‚In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um einem zu helfen.‘ So habe ich es erlebt. Ich bekam Unterstützung in Form von Bildungskarenz und freiberuflichen Aufträgen, die Ausbildung zur biodynamischen Körperpsychotherapie fand mich, und ich begegnete meinem Mann, der bis heute meine beruflichen Wege unterstützt.
Heute liebe ich es sehr, Menschen zu begleiten. Es erfüllt mich auf eine tiefe Art und Weise, die ganz besonders ist. Obwohl ich jede meiner früheren beruflichen Tätigkeiten gernhatte, empfinde ich jetzt, wirklich an meinem Platz zu sein. Der Platz, an dem meine Fähigkeiten, meine Liebe, mein Sinn und meine Freude sich mit der Wertschätzung und den Bedürfnissen der Menschen treffen. Heute kann ich von meinem Beruf als Berufung sprechen, weil ich einem inneren Ruf gefolgt bin und tiefen Sinn darin finde.
Mir gefällt dazu das japanische Modell IKIGAI, frei übersetzt ‚das, wofür es sich zu leben lohnt‚. Hier findest du eine der zahlreichen Modelle dazu. Ikigai als Lebenssinn und Lebensfreude kann in vielen Sphären des Lebens gefunden werden, im beruflichen Kontext wird es gerne als die Überschneidung aus vier Bereichen dargestellt:
- Das was du liebst und dir Freude bereitet
- Das was du gut kannst und dir leicht fällt
- Das was die Welt braucht und wo du Sinn findest
- Das wofür du bezahlt wirst und womit du gut leben kannst
Der Vision hinter den Prägungen folgen
Tatsächlich ist es nicht selbstverständlich, zu wissen, was uns wirklich erfüllt. Mir wurde im Laufe meiner Umorientierung bewusst, dass sowohl das, was ich gut konnte, als auch das, was ich liebte, sehr stark von meiner Sozialisation bestimmt war. Die Berufsbilder, Fähigkeiten und Werte, die man in der Kindheit und Gesellschaft als richtig und erstrebenswert vorgelebt bekommt, prägen tief. Mein Publizistikstudium und mein NGO-Engagement waren nicht nur Ergebnis meiner Fähigkeiten und Ideale, sondern auch stark von den Werten meines Elternhauses und meiner schulischen Beurteilung beeinflusst.
Viele Talente sind uns nicht bewusst, weil sie im Schul- und Herkunftssystem nicht gesehen und gefördert werden. Viele beruflichen Möglichkeiten werden von der Gesellschaft als Ganzes oder der Gesellschaftsschicht, in der wir aufwachsen, nicht wahrgenommen oder geschätzt. Unsere Leidenschaften und Träume sind unbewusst beeinflusst von Familie, Peers, Lehrkörper oder Medien. Was wolltest du als Kind werden und weshalb, weißt du das noch? Gab es Zukunftsvorstellungen, eine Vision, die dir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben, unabhängig von allen anderen?
Alles je Gelernte, die Fähigkeiten, die du entfaltest, alle Erfahrungen, die du machst, sind wertvolle Schätze, sie dienen deinem Entwicklungsweg. Solange du zufrieden bist mit dem Platz, an dem sie dich gebracht haben, ist es der richtige. Die Frage ist, erlaubst du dir hinzuspüren, wenn Veränderungs-Impulse aus deinem tiefsten Inneren kommen, und hast du den Mut, ihnen zu folgen?
Du bist so einzigartig wie deine Vision
Jede*r von uns ist einzigartig. Wir bringen eine besondere Kombination aus Begabungen, Eigenschaften, innerem Wissen und Entwicklungsmöglichkeiten mit. Finden wir günstige Umstände vor, Menschen, die das erkennen und fördern, die uns ermöglichen, nach dem Sinn zu fragen, dann entwickeln wir mit Freude unsere Talente und werden später wahrscheinlich eher Berufe ergreifen, die uns erfüllen.
Was sind die Ideale, für die du lebst? Welche besonderen Gaben bringst du mit? Welche Tätigkeiten machen dich glücklich? Hast du eine Vision für diese Welt? Viele Menschen stellen sich diese Fragen niemals. Sie teilen ihr Leben in Beruf und Privat, Geld verdienen und leben.
Immer mehr Menschen leiden heute daran, dass sie ihre Berufssituation stresst und erschöpft, dass sie nicht genug Sinn finden in dem, was sie tun, sich dafür nicht wertgeschätzt fühlen, manchmal bis hin zum Burnout. Es gibt viele Gründe, trotzdem in einer nicht zufriedenstellenden Situation zu bleiben. Geld. Sicherheit. Ausbildung. Verantwortung für die Familie. Angst vor Veränderung. Der Arbeitsmarkt.
Schritt für Schritt den eigenen Weg gehen
Doch unser Leben ist zu kurz, um den Großteil der Zeit mit Aufgaben und Umständen zu verbringen, die uns unzufrieden machen. Wenn dein Beruf dich nicht erfüllt, wenn du dich verändern möchtest, dann habe den Mut hinzuhorchen, worum es geht.
Nicht immer bedeutet das gleich eine Umorientierung. Manchmal geht es darum, einmal wahrzunehmen, was nicht mehr passt, kleine Schritte zu setzen. Der Beruf gibt uns soziale Identität und finanzielle Sicherheit, das sind wichtige Säulen unseres Wohlbefindens. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Veränderung schrittweise zu gestalten. Ich war jahrelang Teilzeit angestellt. Viele Menschen haben mehrere berufliche Standbeine.
Es gibt verschiedenste Wege, Sinn zu finden, die eigenen Fähigkeiten zu entfalten und aus dem, was dich innerlich antreibt, einen Beruf zu machen. Oft ist es so, dass man im Grunde seines Herzens schon seinem Ruf folgt, doch die Umstände oder die Form passen noch nicht oder nicht mehr. In habe zum Beispiel immer schon Veränderungsprozesse begleitet, früher in einer Organisations-Struktur, heute von Menschen. Früher habe ich Kinder aus der Distanz, vom Schreibtisch aus, unterstützt, heute bin ich dem Kind in mir und den ‚inneren Kindern‘ meiner Klient*innen wirklich nahe. Wenn du deine berufliche Geschichte betrachtest, was ist der rote Faden, der sich durchzieht, der gemeinsame Nenner, der sie begleitet?
Ich möchte dich ermutigen, in dieser Welt voller Möglichkeiten deinen eigenen Weg zu finden und ihn zu gehen. Du brauchst das nicht alleine zu tun, suche dir Menschen, die dich inspirieren und unterstützen, Begleitung, die dich bestärkt und dir hilft, Herausforderungen zu meistern. Wer Mut hat und seinen Herzensweg geht, inspiriert andere, es auch zu wagen.
Was begeistert dich und wofür schlägt dein Herz? Wo findest du Sinn und tiefe Befriedigung? Was berührt und motiviert dich wirklich, und du hast vielleicht nie zu denken gewagt, dass du davon auch leben könntest? Frei nach Kafka, erlaube dir, große Fragen zu stellen, beginne die Fragen zu lieben, dann lebst du eines Tages in deine gewünschte Veränderung hinein.
Wir finden unseren Ruf dort
wo sich unser tiefstes Glück
und der Hunger der Welt begegnen.
Frederik Buechner, Theologe