Eine Umarmung, unbeschwerte Gespräche, Gesundheit, Stabilität, selbstbestimmte Entscheidungen? Was wünscht du dir für dieses neue Jahr? Vielleicht sind deine Wünsche simpler geworden. Wer hätte auch gedacht, dass es normal wird, Masken statt Gesichter zu sehen, dass Lockdowns und Quarantäne unser Leben dominieren, die Auslastung der Intensivstationen den Alltag bestimmt?
In Zeiten der Pandemie ist vieles nicht mehr selbstverständlich. Wir haben den Virus nicht unter Kontrolle, fühlen unsere Gesundheit bedroht. Wir haben weder Sicherheit noch Freiheit in der Hand. Unsere politischen und gesellschaftlichen Institutionen können nicht einfach alles wiedergutmachen, viele empfinden sogar das Gegenteil. Ungewissheit und Unzufriedenheit ist spürbar. Die gesellschaftliche Atmosphäre hat sich verändert.
Was die Angst mit uns macht
Schließe kurz die Augen, denke an etwas, das dir Angst macht, und spüre, wie dein Körper reagiert.
Angst macht eng, jede Zelle zieht sich zusammen, die Muskeln verspannen sich, Magen und Herz pochen und krampfen. Der Kloß im Hals lähmt. Angst führt zu Erstarrung und Abtrennung, fördert den Tunnelblick, hindert unseren freien Ausdruck. Kein Wunder, dass der Rückzug nicht nur äußerlich passiert, sondern sich auch viele in ihren Sichtweisen und Meinungen einzementieren. Was Angst mit uns macht, und mein persönlicher Weg damit, liest du in ‚von der Sicherheit in mir‘.
Während uns früher der Plausch mit der Nachbarin oder dem Kollegen belebt und entspannt hat, halten viele jetzt Distanz. Sie scheuen nicht nur den Virus, sondern auch die damit verbundenen Emotionen und Meinungen. Die soziale Isolation wirkt auf unsere Psyche. Wir verlieren zunehmend unsere Fähigkeit, uns als Menschen gegenseitig positiv zu regulieren, Sicherheit und Wohlgefühl zu vermitteln. Die Neuro-Psycho-Immunologie weiß, dass Angst und Stress unsere Kontaktfähigkeit und unser Immunsystem schwächen, und das ist in Zeiten einer Pandemie besonders problematisch.
Was wir teilen
Die große gemeinsame Herausforderung könnte uns einander näherbringen, stattdessen entsteht Abgrenzung und Spaltung. Wir hätten in dieser Zeit der Unsicherheit gerne einfache Lösungen und jemanden, den wir verantwortlich machen können. Die Distanz wird größer. Meinungsblasen werden stärker, polarisieren. Fronten verhärten sich. Wir verlieren das Vertrauen.
Doch wir alle teilen diese eine Realität, egal wie wir sie bewerten, und sie ist sehr komplex. Wir machen unterschiedliche Erfahrungen mit der gleichen Situation, haben daher verschiedene Ängste und Meinungen dazu, unterschiedliche Arten und Worte, damit umzugehen. Dennoch atmen wir alle die gleiche Luft, gerade das Virus führt uns das drastisch vor Augen. Wir alle teilen grundmenschliche Bedürfnisse und Gefühle, wollen ein gutes, glückliches, sicheres und gesundes Leben.
Mut zur Verletzlichkeit
Es täte gut, erst einmal anzuerkennen, dass wir alle betroffen sind, auf die eine oder andere Weise. Uns als verletzlich und verunsichert zeigen wäre ein großer wichtiger Schritt in einer Welt, in der zu oft Schein vor Sein kommt. Hinter den Fassaden ist das Leben oft nicht in Ordnung, doch wir sprechen selten darüber. Menschen bleiben alleine, wenn sie unglücklich sind oder sich belastet fühlen, reden nicht offen über Gefühle, verstecken, wenn es ihnen nicht gut geht. Jetzt geht es vielen nicht mehr gut. Wirtschaftliche Existenz, soziale Isolation, Ausgrenzung, Einschränkung der Freiheit, Krankheit, Tod, das sind fundamentale Themen. Jede*r hat Angst vor irgendetwas.
Wenn wir teilen, dass es uns allen nicht gut geht mit der Situation, gibt es keinen Schein mehr aufrecht zu erhalten. Darin liegt eine große Freiheit. Vielleicht erlaube ich mir, Ansprüche loszulassen, ehrlicher zu sein, auch mit mir. Vielleicht erkenne ich, was die Haltung anderer in mir provoziert, anstatt mich über sie zu ärgern oder ihnen Schuld zuzuweisen. Vielleicht beginne ich mich zu fragen, welche Ur-Ängste die jetzige Situation in mir hochbringt, und welche Glaubenssätze ich entwickelt habe, damit umzugehen? Vielleicht fasse ich Mut, über meine Gefühle zu reden, und zuzuhören, wie es anderen wirklich geht, was sie bewegt, auch wenn sie anders denken und handeln als ich. In der gegenseitigen Zeugenschaft, im Eingestehen der Verbundenheit, wächst Mitgefühl, für mich genauso wie für andere. Echtes Mitgefühl überwindet jede Spaltung.
Mit der Unsicherheit leben
Wir dürfen lernen mit der Unsicherheit zu leben, die auch sonst immer da ist. Tatsächlich ist Sterben etwas, das uns jeden Tag passieren kann. Wenn dem aber so ist, wie wollen wir dann leben? Diese Frage mag angesichts der derzeitigen Situation naiv klingen. Vielleicht fühlen wir uns gerade in der Situation gefangen, den Umständen ausgeliefert. Doch die Frage bewirkt, uns trotzdem als Gestalter*innen unseres Lebens wahrzunehmen. Sie lädt ein, den Blick auf das zu richten, was wir täglich selbst tun können, unseren Alltag positiv zu verändern. Wohin lenken wir unsere Energie? Füttern wir mit unserer Aufmerksamkeit die Angst oder den Mut, die Enge oder die Möglichkeiten?
Kraft deiner Mitte
Wenn im Außen alles unsicher ist, lass dich nicht auf eine Seite ziehen, sondern verbinde dich mit deiner Mitte. In deiner Mitte hat das Drama keinen Raum. In deiner Mitte bist du immer zugehörig. In deiner Mitte bist du immer heil. Sei das leere Gefäß, durch welches das Leben in jedem Moment neu fließen kann.
Es geht nicht darum, das Richtige zu tun oder zu wissen, was morgen sein wird. Lasst uns miteinander das Nichtwissen aushalten. Lasst uns miteinander das Unbekannte umarmen. Lasst uns miteinander den Raum halten in dieser Krise, Dasein und Mensch sein, egal was ist.
Wir sind immer frei, die Liebe zu wählen. Wir sind immer frei, in Würde zu leben.
Wir haben die Wahl
Wir könnten auch mal was riskieren
Wir könnten uns verletzlich zeigen
und die Hoffnung nicht verlieren
(…) uns verbünden, statt aufeinander loszugehen
wir können wählen
Ich entscheid‘ mich für die Liebe
und für die Menschlichkeit…
Berge ‚Für die Liebe‘